Anna Dietz & Thomas Lambertz – Traces

30.07.-02.09.2021
Anna Dietz & Thomas Lambertz, Traces

Curated in collaboration with In My Hands Magazine

Trace – Utopien, Fiktionen und Refugien nachspüren

 

Die Geschichte beginnt hier: In dem rechten Schaukasten befindet sich ein Rahmen. Es ist der Ausschnitt eines Terrariums, innerhalb dessen Rändern das Ende einer Bewegung abgebildet wird: ein Tier, das Schutz sucht. Der Moment, in dem sich die Natter vergräbt. Trotz ihres beschränkten Handlungspielraumes versucht die Natter Widerstand zu leisten. Sie weicht dem Blick des Betrachters aus und findet das letzte Refugium im Sand, in den sie ihren Körper immer tiefer versenkt. Ihre Haut dient als krönendes Ornament eines fiktiven Ortes, den ihr:e Besitzer:in erschafft. Der Traum, die Ferne im eigenen Wohnzimmer zu verwirklichen, wird angestrebt; eine Authentizität, die vom Tier belebt werden soll. Aber auch darum zieht sich die Schlange zurück. Ihr ist zu warm. Sie versucht, sich durch das Glas am Boden des Terrariums zu kühlen. Die Fantasie ist nicht in Erfüllung gegangen. Der Ort, der die Natter schützen soll und vor ihr schützt, schadet ihr. Die Natter wird unsichtbar.

Das Subjekt verbleibt eine Projektion, eine fotografische Oberfläche, aus der die Skulptur wie aus dem Material erwächst, das ihre Geschichte erzählt. Das Bild schwebt in der Mitte des Raumes. Sein Schwerpunkt ist ebenfalls mittig. Der Ast, wie ein Requisit, der die Szenerie in einem Terrarium verortet, könnte es stützen. Kalte, scheinbar schwere, Materialien werden so inszeniert, das sie die Illusion von Dreidimensionalität entstehen lassen. Die Arbeit ist eine durch Materialien aktivierte Fabel. Eine Metapher für die Schutzräume, die man sich, abseits der dafür bereitgestellten Räume, selbst schaffen muss. Sie reiht sich in die Atmosphere ihrer Umgebung ein. Die Vitrine ist in einem unterirdischen Gang aus roten Kacheln platziert, der existiert, um den Menschen, von der Natur getrennt, von einem Ort zum nächsten zu transportieren. Thomas Lambertz integriert immer wieder hochverarbeitete Materialien aus den visuellen Oberflächen des Alltags, aus Produkt-, Industriedesign und Werbung, in seine künstlerische Praxis. Zwischen diesen Artefakten findet und erfindet er Erzählungen, wie auch in seiner aktuellen Arbeit „I OWN A CASTLE“ für ung 5.

Anna Dietz verwebt Geschichten und die Potentialität der Utopien ihrer Umgebung in ihrer Installation „in front of red tiled horizons“. Die Elemente ihrer Arbeit sind über den Raum verteilt. Einige Fotografien sind links an die Wand gelehnt, eine hängt darüber. Keramiken wachsen aus dem Boden, während zwei Kontaktlautsprecher an der Glasscheibe befestigt sind. Alle Elemente scheinen miteinander im Austausch zu stehen. Die Bilder wiederholen sich und variieren in Größe und Untergrund. Auf den Keramiken finden sich, unter anderem, Zitate aus der Soundaufnahme, die man durch die Lautsprecher hören kann. Die Holzuntergründe der Fotografien greifen das rosa und orange der Wände wieder auf: Die Farben dieser Fiktion.

Die Arbeit könnte im Auf- sowie im Abbau begriffen sein, durch ihre Anordnung öffnet sie sich der Transformation. In dem Audio werden Textelemente zusammengeführt, von Alice im Wunderland, über Atlantis, ein Gespräch unter Freund:innen über ihre Definitionen von Utopien sowie Dietz’ eigenen Geschichten. Die Kontaktlautsprecher am Glas kommunizieren mit dem Außen, aber nehmen es ebenso wieder auf: Es werden Unterhaltungen und Geräusche des Ebertplatzes wiedergegeben. Die Fotografien verweisen auf andere Orte, auf fiktive Geografien, die, wie die beschriebenen Keramiken, Schauplätze von Erzählung sind. Man sieht einen verschwommenen Strand, Felsformaten und eine Hasenrutsche. Durch diese kann man vielleicht ebenso in eine andere Welt gelangen, wie Alice.

Ohne nur eine Utopie darstellen zu wollen, lädt Anna Dietz ein, ihre Erzählung fortzuführen. In der Begrenzung der Vitrine erschafft sie einen Möglichkeitsraum, in denen die einzelnen Elemente zu Akteuren werden, die in einen Dialog treten. Durch die Gleichzeitigkeit ihrer Ideen wird die Konstruktion von linearen Narrationen gesprengt und Impulse gegeben, Utopie als etwas vielgestaltiges, veränderbares, und in der Wirklichkeit zu verortendes, zu verstehen, fern von einer einzelnen Autor:in.

In unmittelbarer Konfrontation mit einem Ort, der vor allem aus Beton besteht und aus der Vision geboren wurde, eine Oase innerhalb einer Stadt für Autos zu bauen, welche immer wieder Konflikte verursacht, skizziert Dietz eine Utopie, die nicht in Erfüllung gehen oder scheitern kann, sondern eine, die immerzu im Begriff steht, zu beginnen.

„Trace“ ist die erste Ausstellung von ungefähr 5 in Kooperation mit dem IN MY HANDS Magazin, welche fotografische und installative Positionen vereinte und Künstler:innen, die sich noch im Studium befinden, hervorhebt.

Dora Cohnen